A Walk in Time: Christine Metz on Drawing and Presence A conversation with drawing pöx on substack (Januar 2025) lesen
Christine Metz erhält im Rahmen der 76. Großen Schwäbischen Kunstausstellung den Kunstpreis der Stadt Augsburg 2025.
Die Augsburger Allgemeine schreibt:
‘(…) Und das Publikum hat sich einzugestehen, dass es in jeder Schwäbischen – nicht zu knapp – auch überraschende und erfreuliche Anblicke gibt. (…) Nur davon soll an dieser Stelle die Rede sein. Zwei Bleistiftzeichnungen von Christine Metz (*1953), eben die diesjährige Preisträgerin des Augsburger Kunstpreises, stehen dafür als Beispiel. Sie zeigen Maulwurfshügel im Schnee, senkrecht von oben, schwarzweiß. Alles andere als spektakulär, kein Eye-Catcher, keine schiere Größe, keine Farbwucht. Aber eine feinzeichnerische, präzise, mimetische Vertiefung im Prozess von Studium und Wiedergabe – ergänzt um dokumentierende Daten zu Motiv und Werkverzeichnung. Schön trotzig hat die Kunst noch immer etwas zu tun mit Können. (…)’
29. 11. 2024, Rüdiger Heintze
Aus der Begründung der Jury im Flyer zu Ausstellung:
‘Als Teil ihres in diesem Jahr begonnenen Projekts “The Time I adopted 14 Molehills in the Snow” sind in 2024 die Zeichnungen No 11 und No 14 entstanden. Darin ist die intensive Auseinandersetzung von Christine Metz mit sehr selbstverständlichen und unspektakulären Erscheinungen abzulesen. Maulwurfshügel finden sich besonders im Frühjahr in fast jeder Wiese in großer Zahl.
Immer wieder erwecken sehr kleine Ausschnitte am Boden die Aufmerksamkeit von Christine Metz. Die Gegenstände ihres Interesses setzt sie detailgenau, annähernd fotografisch in Szene und dabei wird jeder Quadratzentimer am Boden, Erdreich, Schnee und Gras mit feinen Bleistiftlinien auf das Zeichenpapier übertragen.
In der Zeichnung No 11 ist zudem der Ort der Entstehung am Rande eines Waldstücks zwischen Baindlkirch, Eismannsberg und Zillenberg, an Hand der auf der Zeichnung vermerkten Koordinaten, nachzuvollziehen. (…)’
Norbert Kiening, Vorsitzender der Jury
Aus dem Vorwort des Katalogs zur 76. Grossen Schwäbischen Kunstausstellung:
‘(…) Die Jury verleiht den Kunstpreis der Stadt Augsburg an die Künstlerin Christine Metz für zwei ihrer Bleistiftzeichnungen, die als herausragend unter den eingereichten Werken ausgewählt wurden. Die Werke “14 Molehills in the Snow” (2024) sind die ersten beiden einer fortlaufenden Serie. Auf den ersten Blick wirken die Zeichnungen wie abstrahierte Darstellungen explodierender Sternenhaufen im Kosmos, doch bei genauerem Hinsehen zeigen sie – wie der Titel andeutet – Maulwurfshügel im schmelzenden Schnee. Diese Gegensätzlichkeit und die Themen Zeit, Zeitlichkeit und Vergänglichkeit zählen zu Metz’ zentralen Motiven. Ihre Zeichnungen basieren auf einem Foto, einem kurzen Moment, den die Künstlerin über Monate präzise überträgt. Vermerke am Bildrand wirken systematisch, sind jedoch spontane Gedanken. Auch die Nummerierung der Werke erfolgt keiner erkennbaren Logik. – Auf mehreren Ebenen spielt Christine Metz somit mit unserer Wahrnehmung, dem Risiko von Fehlschlüssen und der Neigung zu vorschnellen Interpretationen. (…)’
Jan T. Wilms, wissenschaftliche Leitung des Zentrums für Gegenwartskunst im Glaspalast Augsburg
a3Kultur schreibt:
(…) (Die) zarten, mit außergewöhnlicher Akkuratesse ausgeführten Bleistiftzeichnungen scheinen auf den ersten Blick abstrakt, doch dann erkennen wir Erdhaufen, Schnee – es handelt sich um Maulwurfshügel, die Metz, exakt von oben betrachtet, präzise darstellt. Versehen mit Nummerierung und Geodaten erinnern sie an wissenschaftliche Zeichnungen, doch ihren ungemein großen Reiz erlangen sie durch die verschiedenen Transfers, die die Künstlerin vornimmt. Ausgehend von einer realen kleinteiligen Momentaufnahme, mit der Kamera festgehalten, wird daraus in den langen Monaten des Zeichenprozesses ein Kunstwerk, das verschiedene Ebenen der Wahrnehmung schichtet, die sich der Betrachter*in Schritt für Schritt erschließen. Und doch bleibt am Ende ein Geheimnis … (…)
5. 12. 2024, Bettina Kohlen
Text zur Zeichnung ‘Asphalt & Coins’, Katalog der 73. Großen Schwäbischen KA, Augsburg 2021
‘Asphalt & Coins’ gehört zu einer Gruppe von Bleistiftzeichnungen, welche vergrößerte Ansichten des Bodens oder kleinerer Objekte aus der Natur und dem täglichen Umfeld zeigen.
Die Arbeiten entstehen auf der Basis von Fotografien, doch entwickelt die Zeichnung ihre eigene Realität. Der Kontext zum urprünglichen Ort des Geschehens wird somit fiktiv.
Das punktgenaue Vergrößern soll weniger der Bedeutung als vielmehr der Irrelevanz und Bedeutungslosigkeit des Objekts Ausdruck verleihen. An ihre Stelle tritt Präsenz, die ich bis über den Bildrand hinaus zu verstärken versuche. Die Zeichnung fungiert hier auch als seismografisches Protokoll von Wahrnehmung und Fokus.
– Unter dem Strich sind es genau 77 Cent.
Christine Metz
Participant statement for ‘Tracks & Traces’ (online exhibition), AIR Gallery, Manchester UK 2021
‘Nest’ is part of a series of drawings which show magnified, small segments of the ground or small objects on the ground. They base on photographs taken in a downward 90 degrees angle. Along with the shifted perspective, the image offers a view on what appears out of context and familiar at the same time, describing a reality to be reviewed by one’s perception only.
The defining element of the series loosely ties on the image of anthills, both in a direct and figurative way. Even as anthills embody the principle of dynamic networks and interconnection, the motives of the series seek for and try to include indications of cluster building and dispersal as well as tracks of natural or human impact, found right at our feet.
I came across the ant nest, a tiny structure of pine needles, in the middle of a remote dirt road in the Southwest, but it could be anywhere. As fragile and exposed as it is, it sooner or later will be washed away by rain, stepped on by cattle or driven over by a tire, and so the ants will move on and build new nests. Still, in that moment of time they seem omnipresent by the traces of their activity, writing a script yet to decipher. Seen in such way, the image also documents the traces of time and its fleeting nature.
Scaling up the scene and transferring it into a drawing it is not to amplify its significance rather than to underline and amplify its presence.
Christine Metz
Aus dem Katalogheft zur Ausstellung ‘Zeichnungen & Skizzen’, BBK-Galerie Augsburg 2018
Der Skizzenblock ist meine Kamera; nur sind die Belichtungszeiten etwas länger.
Langsam wandert der Stift über das Papier. Parallel dazu spinnen sich die Gedanken. Die Landschaft vor mir erneuert sich jede Minute.
Schatten und Licht wechseln im Flug, der Wind schüttelt Büsche und Bäume, Wolken treiben über den Himmel; das einzig Beständige ist die Bewegung. Alles passiert wie in Zeitlupe, aber die Zeichnung braucht ebenso lange, um das zu registrieren. Und während ich dachte, daß ich die Langsamkeit entdecke, war es die Schnelligkeit: doch war es nicht meine eigene.
Jeder Ort ist zu jedem Zeitpunkt einmalig. Die Zeichnung setzt Details zusammen, wie sie sich jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt in dieser Form präsentieren. Die Herangehensweise ist erratisch, die Umsetzung progressiv.
Eine fotografische Ablichtung würde das Sichtbare in einem Ereignis-Zeitraum von 1/100 Sekunden zusammenfassen; ein singulärer Akt, der den Anschein des Stillstands dokumentiert.
Das Skizzenblatt hingegen mutiert zu einer alchemistischen Kochplatte. Die Formen werden aufbereitet und eingekocht; es wird vereinfacht, gestreckt, abgekürzt, stilisiert, weggelassen oder neu dazu erfunden. Sogar Schummeln ist erlaubt. Das kann eine Kamera nun doch nicht bieten.
Christine Metz
Die DAZ schreibt zur Ausstellung ‘Zeichnungen & Skizzen’:
(…) Die Skizzen und Zeichnungen von Christine Metz wirken teils wie unfertige Studien, deren Fertigkeit einen fast zu Ende gedachten Gedanken freilegen, und sie sind teils detailreiche Meisterwerke, die das Ungeheuerliche und Beunruhigende hinter der Idylle anführen.
Wer sich auf die Schwarz-Weiß-Piktogramme einlässt, geht auf Entdeckungsreise in die Vergänglichkeit, wird Besucher und Zeuge einer Schöpfung, die die Ewigkeit als Illusion enttarnt. (…)
Weder die Fotografie noch der Film und am wenigsten die realistische Malerei waren in ihrer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte mehr als auf „die Wirklichkeit verweisende Zeichen“, um es mit Umberto Eco zu sagen, sondern Zeichen, die wegen ihrer realistischen Abbildungsartistik von Semiotikern als „Kurzschlusszeichen“ bezeichnet werden. Metz weiß das natürlich, deshalb spielt sie mit der Illusion des Rezipienten, der sich beim Betrachten von realistischen Abbildungen seit vielen tausend Jahren einbildet, nachträglich an einem authentischen Moment teil zu haben. Das ist die Illusion der “realistischen Kunst”.
Siegfried Zagler, DAZ 2018